Traue Deinem Denken nicht

Nach der Veröffentlichung von „Traue Deinem Leiden nicht“ (Anfang 2020) habe ich mich weiter mit der darin behandelten Thematik beschäftigt. Mich interessiert inzwischen besonders, welchen Anteil unsere Gedanken an dem Leid haben, das uns so oft begleitet. Wer das Buch kennt, weiß, dass ich den Begriff Leid sehr weit fasse und auch Unzufriedenheit, Ärger, Genervt sein oder Paarstress darunter fasse.

Viele Menschen sind vermutlich davon überzeugt, eine innere Einheit mit ihren Gedanken zu sein. Sie nehmen an, dass das, was sie denken, ein stimmiger Ausdruck der eigenen Person ist und auch genau das ausdrückt, was für sie stimmig ist. Das stimmt aber nicht. Viele unserer Gedanken stimmen wenig mit unserer Wirklichkeit überein, oft führen sie uns auch in eine für uns falsche Richtung.

Und wieso denken wir sie dann?

Stellen Sie sich bitte vor, dass es in Ihrem Kopf so abläuft, wie in einem Bahnhof. Dort kommen und gehen viele Züge. Sie wollen aber nur einen bestimmten Zug haben und in diesen einsteigen, sich also auf diesen einen ganz bestimmten einlassen. Dazu müssen Sie alle Züge hinsichtlich ihrer Fahrtrichtung bewerten, auf die Anzeigetafel schauen, auf die Uhrzeit und sollten im Hinterkopf haben, wohin Sie wollen.
So, wie in einem Bahnhof die Züge kommen und gehen, tauchen im Kopf viele Gedanken auf, die Sie in sehr verschiedene Richtung führen könnten, wenn Sie sich darauf einlassen. Wir sind es gewohnt, auf den nächstbesten Gedanken direkt aufzusteigen und uns von ihm führen zu lassen.
Wir tun das, weil uns der Gedanke vielleicht vertraut vorkommt, vielleicht auch einfach deshalb, weil wir es so gewohnt sind. Wir halten die Gedanken für uns selbst bzw. von uns selbst kommend. Aber ein Mensch ist nicht seine Gedanken!

Einfach mal denken: Ich bin nicht meine Gedanken.

Natürlich kommen unsere Gedanken aus uns selbst, aber aus tieferen Schichten der eigenen Psyche. Aus Regionen, die viel schneller arbeiten als unser Wachbewusstsein, wird der Input aus unseren Sinnesorganen ausgewertet und mit den bisherigen Erfahrungen verglichen. Dabei werden auch längst nicht mehr bewusste Erfahrungen aus weit zurückliegenden Lebensabschnitten berücksichtigt. Oberstes Ziel dieser unbewussten Systeme ist es, für die eigene Sicherheit zu sorgen und ansonsten so energiesparend wie möglich zu agieren.

Wird hier etwas Passendes gefunden – und das ist fast immer der Fall – wird dieser Vorschlag auch an die oberen Schichten des Gehirns gesendet. Vom limbischen System (dem emotionalen Gehirn) aus wird der Körper in einen passenden Zustand versetzt, was man dann als Empfindungen wahrnehmen kann. Im Bewusstsein tauchen gleichzeitig die zu diesem Vorschlag gehörenden Gedanken auf.
Das ist genauso, als wenn etwas in einem trübem Wasser plötzlich auftaucht. Eben war da noch nichts, und plötzlich ist etwas da. Für uns ist es normal und das Einfachste, wenn wir die auftauchenden Gedanken und Empfindungen aufgreifen und uns dann entsprechend verhalten. Aber das müssten wir nicht. Tatsächlich sind diese auftauchenden Gedanken lediglich Vorschläge.

Hierzu ein Beispiel:

Das kennen die meisten, dass sie eine Äußerung oder einen Gesichtsausdruck ihres Partners fälschlich als Anmache, Provokation, Missachtung o.ä. verstehen und sofort zornig darauf reagieren … wenn Sie dem eigenen Impuls folgen. Wenn Sie aber nicht auf diesen ersten Gedanken-Zug aufsteigen würden, könnten Sie sich innerlich zurücknehmen und sich Gedanken über die Situation und Ihren Impuls machen. Dann würden Sie vielleicht darauf kommen, dass das Verhalten des Partners überhaupt nichts mit Ihnen selbst zu tun hat. Vielleicht würden Sie dann auch eher freundlich fragen, ob Sie dem anderen helfen können.

Hilfreich ist also eine innere Haltung, in der man auf die eigenen Gedankenprozesse, genauso wie das eigene Erleben, aus einer gewissen Distanz schaut und wie in dem Vergleich mit dem Bahnhof, sich erst einmal darüber informiert, in welche Richtung einen der gerade hochkommende Gedanke führen würde.

Eine Übung dazu:
Nehmen Sie immer wieder mal bewusst wahr, was sich da an Gedanken im eigenen Kopf abspielt. Also: „Was denke ich gerade?“ Beobachten Sie, was sich im Kopf bewegt und betrachten Sie das sehr kritisch. Vielleicht mit der Frage, ob Sie dieser Gedanke da hin bringen kann, wo Sie hin möchten, oder eben nicht.

Wieso sollte man das überhaupt tun?

Weil einen die Vorschläge aus den tiefen Schichten der eigenen Psyche immer dann in eine falsche Richtung lenken, wenn man innerlich im Stress ist. Was man auch noch wissen sollte, ist, dass wir in unserer leistungsorientierten Gesellschaft viel zu oft in Stress geraten und darüber hinaus bei vielen Menschen fast immer so eine Art Mikrostress herrscht, der dieselben Auswirkungen hat. Also dazu führt, dass man in die falsche Richtung geht.

Warum muss man sich mit sowas beschäftigen?

Fast alles, was im eigenen Leben an Problemen auftaucht, ist das Produkt dieser Fehlorientierungen, die aus dem eigenen Kopf kommen. Wer sich nur mit den Problemen selbst herum schlägt, kann sicher auch das eine oder andere lösen, wird aber weniger erfolgreich sein, als der, der sich mit der Ursache der Probleme beschäftigt. Außerdem wird sich die innere Geisteshaltung, die einem die Probleme beschert hat, nicht dadurch ändern, dass man eines der Probleme gelöst hat. Man macht am nächsten Tag genauso weiter und wird an anderer Stelle dieselben oder andere Probleme erzeugen. Das kann man das ganze Leben lang machen. Von allein kommt man aus diesem System nicht heraus. Es kann sich sehr lohnen, hier genau hinzuschauen.

Das Buch zu dem Thema ist noch in Arbeit.

Das Bild ist aus der kostenlosen Bilddatenbank PublicDomainPictures auf Pixabay. Vielen Dank dafür.

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