Nicht jedes Leiden lässt sich schnell vertreiben.

Manches will gewürdigt werden

Im Beitrag Schlechte Laune schnell vertreiben, vom 25.2.22 (in diesem Blog zu finden) hatte ich drei Hinweise gegeben, wie man auf kurzem Weg aus einem belastenden Gefühl aussteigen kann. Auf Facebook hatte ein Leser folgenden Kommentar dazu gegeben:

„hat nix genutzt und wenn ich anfange zu singen oder zu pfeifen, dann bin ich kurz vor der explosion!“

Das ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass nicht jedes schlechte Gefühl einfach abzuschalten geht. Ich habe dem Schreiber Folgendes geantwortet:

Danke für den Kommentar. Hier ein paar Überlegungen dazu:
Wer intensive Wut oder andere Gefühle erlebt, weil er von etwas sehr betroffen ist, wird diese Gefühle nicht so ohne Weiteres abschalten können. Das geht zwar auch, setzt aber voraus, dass man zumindest ahnt, dass die eigene Wut gerade überzogen oder sogar unangemessen ist. Wer sich also im Berufsverkehr über die anderen vielen Autos aufregt, ahnt irgendwo im Hinterkopf, dass diese Wut nicht besonders sinnvoll ist. Diese Idee muss man dann nur ein bisschen mehr in den Vordergrund seines Denkens holen. Vielleicht so: „Wieso rege ich mich jetzt über den Verkehr so auf. Das ist doch hier nicht wegen mir so voll, sondern jeden Tag. Das hat mit mir nichts zu tun. Ich will mich nicht aufregen.“ Wer so gedanklich eingestimmt ist, kann auch durch singen, pfeifen oder ein kleines Tänzchen innerlich in Frieden kommen. Das funktioniert, weil wir den Gedanken in unserem Kopf Glauben schenken und sie als Orientierung nehmen. Wenn ich also Zweifel an meinem Gefühle streue, kann ich das Gefühl auch abschütteln.

Wer allerdings seinen Zorn für vollkommen angemessen hält, vielleicht, weil er gerade an einer sehr empfindlichen Stelle getroffen wurde, wird diesen Zorn nicht einfach wegschieben können. Die Seite in ihm, die diesen Zorn jetzt gerne abschalten will, hat keine Chance. Egal mit welchem Mittel die dagegen hält. Hier muss man andere Wege gehen.

Hier geht man nicht weg von dem Gefühl, sondern schaut genauer hin. Zum Beispiel, indem man mit jemandem darüber redet, was einen gerade so zornig macht. Vielleicht so: „Ich bin gerade sowas von sauer. Ausgerechnet mir wirft er vor, nicht verantwortlich zu handeln. Das ist so etwas von ungerecht. Wie oft habe ich Verantwortung für das übernommen, was er an Mist gebaut hat. Wie oft habe ich ihn rausgehauen. Und jetzt so etwas. Das empfinde ich als zutiefst unfair.“

Wenn man mit jemandem darüber redet, wird diese Wut gewürdigt. Sie bekommt Beachtung. Und sie wird dadurch auch in ihrer Intensität vermindert. Das geht auch, wenn man mit sich selbst redet, am besten laut.
Diese entlastende Wirkung kann man auch dadurch verstärken, dass man nachspürt, wie sich diese Wut im Körper niederschlägt. Vielleicht merkt man sie im angespannten Kiefer, in den angespannten Schultern oder/und im Nacken, dem Grollen im Bauch, dem rasenden Puls etc. Das Ziel dieser Übung ist nicht, sich zusätzlich aufzupeitschen und noch mehr aufzuregen als vorher, sondern die Wut genau wahrzunehmen, ihr einen Ausdruck zu geben und sie dadurch zu bändigen.
Ich schiebe sie also nicht weg, indem ich mich mit singen, pfeifen oder anderen Aufgaben ablenke, sondern stelle mich ihr, nehme sie wahr und nehme mich in meinem Gefühl ernst.

Wie unterscheidet man, ob man in die eine oder die andere Richtung losgehen sollte? Das muss man durch Übung erfahren. Das macht man, indem man achtsam immer wieder mal auf seine Gefühle schaut, sich Gedanken darüber macht, wo die gerade herkommen und dann mal den einen oder anderen Weg probiert, um aus diesem Gefühl heraus zu kommen.

Aber auch wenn manches negative Gefühl sehr ernst genommen werden sollte, um daraus zu kommen, gilt trotzdem: Traue Deinem Leiden nicht. Mit Leiden meine ich hier negative Gefühle. Man könnte also auch sagen: Traue Deinen negativen Gefühlen nicht. Befrage sie immer, ob sie gerade berechtigt sind und sei sehr sorgfältig damit, ob du ihnen für einen Moment Aufmerksamkeit schenkst oder sie so schnell wie möglich verlässt.

Ich habe darüber auch ein Buch verfasst: „Traue Deinem Leiden nicht“ heißt es nicht und ist hier zu bekommen:

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