Alles Theater!

 

Wozu gibt es überhaupt ein Bewusstsein?

Das Bewusstsein ist zwar sehr viel schneller als das Unbewusste, kann aber nur winzige Datenmengen und immer nur einen Prozess verarbeiten, kann also kein Multitasking. Das Unbewusste ist langsamer, arbeitet viele Prozesse parallel ab und erreicht dadurch eine viel höhere Verarbeitungsgeschwindigkeit. Ohne die Arbeit des Unbewussten, könnten wir nicht überleben, vermutlich aber ohne das Bewusstsein. Wofür haben wir es überhaupt? Da sich in der Natur nur das durchsetzt bzw. erhalten bleibt, was auch einen Sinn macht, muss man dies auch dem Bewusstsein unterstellen, aber welchem Zweck dient es?

Eine interessante These stellt B. J. Baars, in seinem Buch „Das Schauspiel des Denkens“, aus dem Jahr 1998 vor. Er schreibt:

„Die engen Grenzen des Bewusstseins bieten einen ausgleichenden Vorteil: Das Bewusstsein scheint wie ein Tor zu funktionieren, das Zugang zu jedem Teil des Nervensystems bildet. Sogar einzelne Neurone können durch bewusstes Feedback kontrolliert werden. Bewusste Erfahrungen schaffen Zugang zum mentalen Lexikon, dem autobiographischen Gedächtnis und der willentlichen Kontrolle über automatisierte Handlungsroutinen.“(Bernard Baars: In the Theater of Consciousness, Journal of Consciousness Studies, 4, No. 4, 1997, pp. 292-309, Übersetzung von Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Bernard_Baars).

Die Psychotherapie nutzt diese Möglichkeit des Bewusstseins, um auf bestimmte Geschehnisse im eigenen Kopf zugreifen zu können. Eine Person kann sagen, „Ich habe Angst“ oder kann sich an ihre Angst erinnern. Mit entsprechendem Training kann auf diese Angst eingewirkt werden. Die Fähigkeit, die Baar in seinem Global Workspace Model beschreibt, wird daher von anderen Experten auch als Zugangsbewusstsein umschrieben. (Davon wird das phänomenale Bewusstsein unterschieden, das für den Erlebnisgehalt des Bewusstseins steht, etwa das subjektive Erleben von Angst.)

Baar hat unser Gehirn auch mit einem Theater verglichen. Während im Saal Dunkelheit herrscht und die dort sitzenden unbewussten Programme und Prozesse nicht oder nur eingeschränkt miteinander interagieren, ist die Bühne, auf der das Bewusstsein agiert, hell beleuchtet und von allen im Saal deutlich sichtbar. Der Theater-Schauspieler (das Bewusstsein) kann mit jedem Zuschauer im Saal interagieren. Durch seine Handlung können ansonsten unverbundene unbewusste Programme miteinander koordiniert werden. Sie bekommen dadurch einen Dirigenten bzw. eine übergreifende Ausrichtung für anstehende Aktionen.

Alles Geschehen in der eigenen Umgebung wird zunächst unbewusst erfasst und überprüft, ob eine Reaktion notwendig ist. Ist dies der Fall, wird zum Beispiel eine Angst auf die bewusste Bühne gehoben, die dafür sorgt, dass alle verfügbaren Ressourcen zur Bewältigung der Situation verwendet werden. Alles was im Moment nicht für die Sicherung der eigenen Person notwendig ist, wird heruntergefahren und alles was für eine angemessene Reaktion notwendig ist, hochgefahren. Ein Ich ist präsent und dieses Ich hat jetzt Angst.

Die Angst auf der Bühne kann auch kritisch betrachtet werden. Vielleicht, weil nebenbei oder rückblickend wahrgenommen wird, dass alle anderen Menschen in der Umgebung auf dieselbe Situation ohne Angst reagieren. Vielleicht weil es Erinnerungen daran gibt, dass man früher noch ohne Angst war.
Die Angst kann erneut auf die Bühne des Bewusstseins gestellt werden, diesmal mit der Frage an das innere Plenum, ob es nicht weniger leidvolle Lösungen gibt. Sollte dies keinen Ertrag bringen, könnte zum Beispiel auch der Gedanke entstehen, sich psychotherapeutische Hilfe zu suchen. Dort könnten dann neue Möglichkeiten geschaffen werden, das Angstprogramm zu hemmen und andere Reaktionen zu gestalten.

Jetzt darf man aber nicht in den Irrtum verfallen, den Schauspieler bzw. das Bewusstsein als Regisseur des Ganzen zu sehen. Die Impulse, die den Schauspieler agieren lassen, kommen aus dem Zuschauerraum, also aus dem Unbewussten.

Dies betrifft jegliches Handeln, Denken und Erleben. Auch wenn sich ein Mensch entschließt, eine komplizierte mathematische Formel zu lösen, stehen dahinter unbewusste Prozesse, die den Entschluss, die Aufmerksamkeit jetzt auf die mathematische Formel zu richten, vorbereiteten. Innerhalb der Lebenswirklichkeit der Person gibt es Prozesse für die es sinnvoll, notwendig und/oder angemessen scheint, den Fokus auf die Lösung der Aufgabe zu richten. Das Bewusstsein wird eingeschaltet, um alle dafür notwendigen Fähigkeiten zu bündeln. Bei einer einfachen Rechenaufgabe, hätte das Unbewusste das Ergebnis ohne Umwege im Hintergrund errechnet. Ist die Aufgabe komplizierter oder geschieht etwas zum ersten Mal, begibt man sich in den Theatersaal – um bei dem obigen Bild zu bleiben – und nutzt einen Leih-Schauspieler um die notwendige Kooperation zu gewährleisten.

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Das Foto „theater-prag-tschechische-republik-592145“ stammt aus der kostenlosen Bilddatenbank pixabay.com. Vielen Dank an den Fotografen IgnacioPinheiro.

Na das ist ja primer!

Menschen sind vor allem soziale Wesen. Auch wenn es manchmal  nicht so scheint, sind sie in der Tiefe ihres Seins aufeinander bezogen und passen sich blitzschnell und meist unbewusst an ihre jeweilige Umgebung an.

Dass Gähnen ansteckend sein kann, ist den meisten vertraut. Dies ist ein gutes Beispiel für eine unbewusste Anpassung. Gähnt einer, gähnen andere solidarisch mit.

Schon vor vielen Jahren wurde bei Mutter-Kind Experimenten festgestellt, dass Brei fütternde Mütter oft mit offenem Mund dabei sind. Genauere Betrachtungen brachten hervor, dass sie dies nicht taten, um ihrem Kind beizubringen, dass dieses den Mund öffnen muss, sondern dass sie vielmehr den offenen Mund des Kindes kopierten.

Unbewusste Imitation findet beständig statt. Menschen imitieren spontan den Gesichtsausdruck anderer Menschen, genauso wie die Körperhaltung, wie Gesten oder auch sprachliche Eigenheiten, wie Wortwahl, Tonhöhe oder die Pausenlänge zwischen den Sätzen. Interessant ist, dass diese Anpassung auch bei sprachlichen Zuweisungen funktioniert. Wird ein Mensch wiederholt als dumm bezeichnet, verhält er sich auch so. Dies funktioniert zum Glück genauso mit positiven Eigenschaften. Ein Mensch leistet mehr, wenn seine Leistungsfähigkeit benannt wird.

Wie in zahlreichen Experimenten erprobt, geschieht diese Anpassung auch schon, wenn Menschen einen Artikel lesen, in dem sie mit bestimmten Eigenschaften konfrontiert werden. Geht es zum Beispiel um Begriffe, die man mit alten Menschen assoziiert, wie Gebrechlichkeit, langsame Bewegung, graue Haare, Falten etc., dann bewegen sich die Probanden danach messbar langsamer als Vergleichspersonen, die andere Texte vor sich hatten. Ganz gleich ob ein Mensch einer alten Person begegnet oder nur darüber liest, er passt sich sofort an, verlangsamt seine Bewegung, spricht vielleicht lauter und denkt langsamer.
Die Testpersonen wollten das auch nicht glauben und haben die Tests wiederholt, allerdings mit dem gleichen Ergebnis.

Dieses Aktivieren von bestimmten Eigenschaften in einer Person nennt man Priming. Lässt man eine Person eine Liste von Wörtern lesen, die etwas mit Aggressivität zu tun hat, erleben diese ihr Gegenüber aggressiver. Lesen sie etwas über Unfreundlichkeit, werden sie auch unfreundlicher. Handelt der Lesestoff von Leistung, Engagement und Anstrengung, gehen die Probanden nachher deutlich leistungsorientierter an Folgeaufgaben.

Es werden unbewusste Verhaltensmuster aktiviert und sofort gezeigt.
Diese Anpassung an die Umgebung lohnt sich offenbar für uns Menschen. Wir reagieren positiv auf andere, die sich an uns anpassen, unsere Gestik imitieren oder den Gesichtsausdruck. Versuche zeigten, dass Kellnerinnen doppelt so viel Trinkgeld bekamen, wenn sie die Gäste imitierten, in dem sie die Bestellung wortwörtlich wiederholten. Menschen sind einander sympathischer, wenn sie sich aneinander angleichen.

Interessant ist die Frage danach, worauf ein Mensch geprimt wird, wenn er die Blutseite der Tageszeitung liest. Sicher erzeugt die Konfrontation mit einer Welt voller Gefahren kaum ein positives Gefühl. Viel wahrscheinlicher ist, dass man eher ängstlich wird und sich unsicherer fühlt.
Vielleicht steckt hier auch eine Erklärung dafür, warum sich so viele Menschen gerne von Werbung berieseln lassen. Weil die gutaussehenden, erfolgreichen und zufriedenen Schauspieler auf einen selbst abfärben und man sich dadurch ein bisschen gutaussehender, erfolgreicher und zufriedener fühlt?

Das alles wirft ein deutliches Licht auf den Stellenwert des Bewusstseins. Die blitzschnelle Anpassung an die Umgebung geschieht vollkommen unterschwellig und in manchen Fällen vermutlich auch gegen den eigenen bewussten Willen (was ist das eigentlich?). Das Bewusstsein hat lediglich die Rolle eines Zuschauers. Das Unbewusste gibt die Richtung vor und steuert das Verhalten, das Bewusstsein wird manchmal darüber informiert.

Die Untersuchungen habe ich aus dem Buch von Ap Dijksterhuis, Das kluge Unbewusste, Denken mit Gefühl und Intuition, Klett-Kotta, 2007

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Der Sitz der Seele oder Tod ohne Wiederkehr?

 

Viele Jahrhunderte lebten wir mit der Überzeugung, dass unser Bewusstsein etwas so besonderes ist, dass es auch eine besondere Herkunft haben muss. Vollkommen klar, dass dieses geistig-sphärische Phänomen von Gott gegeben sein muss und auch nach dem Tod des Körpers nicht vergehen wird, sondern in anderen Dimensionen des Seins weiter existiert.

Was machen wir mit unseren vertrauten Vorstellungen, wenn uns die Neurobiologie vielleicht bald und endgültig beweist, dass das Bewusstsein im Gehirn selber entsteht und gar nicht so göttlich, frei und abgehoben ist, wie wir immer glaubten.

Seele, Bewusstsein, Geist ist das überhaupt dasselbe? Schauen wir mal…

Unter einer Seele wird in allen Religionen, Weltanschauungen und Kulturen der Welt etwas anderes verstanden. Zu allen Zeiten wurden die erleb- und sichtbaren Unterschiede zwischen Pflanze, Tier, Mensch und der unbelebten Natur unterschiedlich erklärt.

  1. In der Antike, einige Jahrhunderte vor dem Beginn unserer Zeitrechnung, war die am weitesten verbreitete Annahme, dass das Universum von einer göttlichen Natur (Pneuma, Äther, Odem) durchdrungen ist. Durch das Einatmen nehmen Tier und Mensch Anteil an diesem Göttlichen und werden belebt. Entsprechend führt der Atemstillstand zum Tode. Der Grundstoff der Seele wurde als etwas luftähnliches, ätherisches angesehen, das mit der Atemluft aufgenommen wird und sich im Körper zur Seele verdichtet. In dieser Vorstellung gibt es keine individuelle unsterbliche Seele. Nach dem Tod zerstreut sich die Seele wieder im Äther. Die Seele steht hier für das, was Leben gibt. Dahinter steht eine dualistische Vorstellung von Körper und Seele.

In der Antike unterschieden Denker wie Platon und Aristoteles  drei Lebensprinzipien. Demnach haben Pflanzen eine vegetative Seele, die zu Wachstum, Entwicklung und Anregbarkeit durch Umweltreize führt. Tiere haben eine Tierseele (animalische), die Bewegung, angepasstes Verhalten und auch eine gewisse Intelligenz ermöglicht. Der Mensch hat als einziges Wesen zusätzlich eine Vernunftseele (rational), die als unsterblich gilt. Durch sie hat der Mensch Anteil an einer Gabe der Götter. Diese Vernunftseele wird als unstofflich gesehen und steht damit dem Körper mit seiner stofflichen Substanz gegenüber. Die vegetative und die animalische Seele zerstreuen sich wieder nach dem Tod des Körpers.

Es gibt noch interessante Details bei den alten Denkern: So lieferte für Platon die sinnliche Erfahrung keine sichere Erkenntnis im philosophischen Sinne, da die Sinne materieller Natur sind. Sie dienen lediglich der Orientierung des Körpers. Wahre Erkenntnis hat bei Platon nichts mit der materiellen Welt zu tun und konnte daher nur durch die Seele (Augen des Geistes) gewonnen werden. Entsprechend ist die rationale Seele das Organ der Erkenntnis. In seiner Vorstellung existierte diese – bevor sie sich mit dem sterblichen Körper verband – in einem Raum auf der Rückseite des Himmels. Dort ist alle Erkenntnis versammelt und zu ihr, der wahren Erkenntnis, kann man nur im philosophischen Diskurs gelangen. Er erzeugt damit einen Dualismus zwischen einer Welt der Ideen und der faktisch bestehenden Welt.

Platons Schüler Aristoteles trennte sich von der Idee der unsterblichen Ideen und der damit verbundenen Ablehnung der Sinne als Erkenntnisgrundlage. Er ging davon aus, dass alle Erkenntnis auf sinnlicher Wahrnehmung und Erfahrung beruht. Ohne Sinneswahrnehmung gäbe es keinerlei Erfahrung und könnte man nichts verstehen. Er nahm auch an, dass der menschliche Geist über keine angeborenen Kenntnisse verfügt, sondern zu Beginn des Lebens einer unbeschriebenen Tafel (lateinisch: tabula rasa) gleicht, die mit allem Möglichen beschrieben werden kann.

Auch bei Aristoteles ist die Vernunftseele und das dazu gehörige Denkvermögen unsterblich, allerdings überindividuell. Eine Ausnahme war Aristoteles in seiner Überzeugung, dass alle Seelenanteile nicht im Gehirn, sondern im Herzen (cardiozentristisch) lokalisiert sind – weil dort alles Blut als Träger der Lebensgeister zusammenströmt. Für ihn war das Gehirn eher eine Art Kühlsystem des Blutes. Im Gegensatz zu ihm war die Anschauung, dass das Gehirn (cerebrozentistisch) der Sitz der Vernunftseele ist, der Intelligenz und der kognitiven Fähigkeiten spätestens seit Hypocrates (ca.  400 v. Chr.) weithin akzeptiert.

Die vegetativen und tierischen Seelenaspekte bilden bei Aristoteles mit dem Körper eine Einheit. Daher ist die Seele vom Körper nicht trennbar. Sie verhält sich zu ihm wie das Augenlicht zum Auge. Damit widerspricht Aristoteles der Auffassung Platons, wonach der Seele ein eigenständiges Dasein zukommt. Er fasst die Seele als Zweckursache des Körpers auf.

  1. Die mittelalterliche Theologie und Philosophie übernahm die platonische Vorstellung von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele. Diese Ansicht wurde nach Jahrhunderten heftiger Auseinandersetzungen im Jahr 1515 von der christlichen Kirche als unbezweifelbare Wahrheit (Dogma) festgeschrieben und wird zumindest im Katholizismus bis heute verbindlich gelehrt. Protestantische Theologen vertreten dagegen eine auf jüdische Vorstellungen zurückgehende Lehre vom Tod der Seele mit dem Tod des Körpers und einer gänzlichen Neuschöpfung von Körper und Seele in einer Auferstehung.

In der christlichen Lehre des Mittelalters verbindet sich die unsterbliche Seele im Akt der Zeugung oder spätestens bei der Geburt mit dem Körper. Im Augenblick des Todes verlässt den Körper, der unbeseelt zurückbleibt und vergeht. Hier gibt es auch die Auffassung, dass die Seele nach ihrem Entweichen geleitet werden müsse, um nicht in der Welt als Gespenst umher zu ihren. Hier dienen hilfreiche Wesen, Engel, die diese Aufgabe übernehmen.

  1. Descartes, der einflussreichste Philosoph des 17. Jahrhunderts, vertrat wie Platon eine dualistische Auffassung. So definiert er die Seele als eine Sache, für die es wesentlich ist zu denken (res cogitans), und den Körper als ein Ding, für das es wesentlich ist, ausgedehnt zu sein (res extensa). Descartes zufolge enthält das Denken in seiner reinen Form nichts körperliches, auch in dieser Hinsicht ähnelt seine Auffassung derjenigen Platons.

In seinem Verständnis gieße Gott der Maschine Körper eine geistige Seele ein, die im Körper willkürliche Bewegungen veranlasse und der Körper veranlasse Gedanken.

Der Begriff Seele ist bei Descartes bedeutungsgleich mit Geist bzw. Verstand oder Vernunft. Sie gehört zur denkenden Substanz. Als organischer Sitz der Seele gilt die Zirbeldrüse (Informations- und Bewegungszentrale des Automaten). Der Geist als ganzer sei im ganzen Körper und in jedem beliebigen Teil des Körpers. Die Seele ist nach ihm, da nicht ausgedehnter, unteilbarer und unkörperlicher Geist, unsterblich. Die Verschiedenheit von Geist und Materie sei beweisbar, aber ihre Vereinigung nur aus der alltäglichen Erfahrung bekannt.

Descartes war überzeugt, dass im Körper nur biologische und keine psychischen Prozesse stattfinden. Für ihn gab es also kein Unbewusstes.

Descartes Ideen haben das westliche Denken stark geprägt. Auch heute noch wird das Bewusstsein mit dem Verstand/ der Ratio gleichgesetzt und die Auffassung, dass das Bewusstsein die dominante Instanz ist, ist noch immer weit verbreitet.

  1. Als ich in den 1970er Jahren anfing, Leibeserziehung zu studieren, war es noch selbstverständlich von einer Dreiteilung des Menschen in Körper, Seele und Geist auszugehen. Der Körper war die materielle Basis, die durch die Seele ihre Lebendigkeit bekam. Die Seele wurde auch mit dem Erleben bzw. dem Psychischen gleichgesetzt und der Geist mit dem bewussten Denken. Im Laufe der Jahre wurde ich mit verschiedenen Erklärungen und Zuordnungen konfrontiert. Seele und Geist wurden immer wieder in unterschiedlicher Bedeutung definiert, manchmal waren sie auch als etwas Identisches gesehen. Im Kern haben wir es nach wie vor mit einer dualistischen Auffassung zu tun, in der es darum geht, dass mentale Aspekte (Geist, Bewusstsein, das Psychische, die Seele) vom physischen (Körper, Gehirn, dem Materiellen, dem Leib) unterschieden werden. Die Existenz von Geist/ Bewusstsein / Seele wird überwiegend einem göttlichen Faktor zugeschrieben.

Fazit:

Offenbar fällt es in unserer Denktradition schwer, sich den Menschen als etwas Ganzes zu denken und die Annahme einer dualistischen Trennung Mentalem und Körperlichem zu verlassen. Vielleicht weil dies dem Tod so etwas Endgültiges gibt. Wenn keine Seele weiterlebt, ganz gleich ob individuell oder überpersönlich, vergeht das Individuum mit dem Tod des Körpers. Vielleicht brauchen Menschen den Trost, dass es nachher noch weitergeht.

Wenn kein Gott das Bewusstsein gibt, sondern es  aus der Interaktion der Nervenzellen entsteht, verliert das Mentale seine Sonderposition. Schon die bisherigen neurobiologischen Erkenntnisse müssten den Sitz einer gottgegebenen Seele ins Unbewusste verlagern, weil hier die wirkliche Steuerung des Menschen stattfindet. Da das Unbewusste eine Einheit mit dem Körperlichen bildet, lässt sich schwer unterscheiden, was beim Tode vergeht und was bleibt. Auch unsere Behauptungen über die eingeschränkte Beseeltheit bei den Tieren (animalische Seele) könnten wir dann nicht mehr begründen.

Noch immer haben die Neurobiologen keinen Beweis, dass das, was sie im Gehirn beobachten auch das Bewusstsein ist. Sie stellen nur Beziehungen zwischen bewusst erlebten geistigen Vorgängen (Wahrnehmen, Denken, Vorstellen, Erinnern, Fühlen, Wollen) und dem Geschehen in den Nervenzellen her. Das Bewusstsein selbst  ist damit noch nicht greifbar. Viele nennen aber den Verdacht, dass das Bewusstsein ein Produkt des Gehirns ist.

Wir können uns also noch in Spekulationen ergehen. Eine große Hürde für unser Denken ist dabei z. B. der Umstand, dass Bewusstsein aus Materie heraus entstanden wäre, sollten die Nervenzellen es durch ihre Interaktion erzeugen. Für uns, die wir über Jahrtausende gewohnt sind, in dualistischen Kategorien zu denken, ist dies eine große Herausforderung. Da fällt die Vorstellung einer göttlichen Instanz noch deutlich leichter.

Vielleicht retten uns Physik und Mathematik. Manches weist darauf hin, dass wir in mehr als nur drei Dimensionen plus der Zeit leben. In einer mehrdimensionalen Realität werden hochkomplexe Formeln zur Beschreibung unserer Welt plötzlich ganz einfach. Vielleicht sind unsere vertrauten drei Dimensionen nur ein Ausschnitt unserer Existenz und solche Phänomene wie Bewusstsein, Seele, Götter, Wiedergeburt etc. finden eine ganz einfache Erklärung, wenn man dem Ganzen nur die eine oder andere Dimension hinzufügt.

Diese Vorstellung stößt allerdings ebenfalls an die Grenzen unserer Ratio.

 

Das Bild „face-623315_640.jpg“ hat den Titel: „gesicht-seele-kopf-rauch-licht-623315“ und stammt von der kostenlosen Bilddatenbank pixabay.com. Vielen Dank an den Fotografen.

Die alten Netzwerke bleiben erhalten

Bei meinen Bücherstudien verdichtet sich mehr und mehr der Eindruck, dass die im Laufe der eigenen Geschichte im Unbewussten aufgebauten Vernetzungen kaum veränderbar sind. Vor allem was in den ersten Lebensjahren entstand, scheint sehr stabil. Das ist logisch, weil damals das Fundament des eigenen Lebensgebäudes gelegt wurde.

Allerdings herrschte in der Psychotherapie lange Zeit eine gegenteilige Annahme. Es war gängige Überzeugung, dass man sich dem Alten zuwendet, sich erinnert und versteht was da gelaufen war und danach Wege sucht, es von nun an anders zu machen. Manche arbeiteten auch in der Überzeugung, dass allein das Erinnern und der andere Blick auf die Geschichte Veränderungen erzeugen würde.

Freud ließ seine Patienten frei assoziieren, d. h., entspannt liegend ihre aktuellen oder zurückliegenden seelischen Regungen rückhaltlos aussprechen, damit ins Unbewusste verdrängte Inhalte wieder bewusst würden. Er fasste diese Technik in die Kurzformel: „Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten“. Ein wichtiger Aspekt des Durcharbeitens ist dabei die Deutung, also das Verstehen der Vergangenheit.

Die kognitive Verhaltenstherapie arbeitet mit der Annahme, dass jeder Mensch über seine Vorstellungen und Gedanken (Kognitionen) sein Erleben und Verhalten positiv oder negativ beeinflussen kann. Denkfehler wie z.B. die Einstellung „Ich muss perfekt sein“ führen demnach zu Anspannung und negativem Selbsterleben. Über die Bewusstmachung selbstschädigender innerer Überzeugungen (=Gedankenfehler) und die Einübung von hilfreichen Bewältigungsstrategien könne man lernen, mit belastenden Situationen anders als bisher umzugehen.

Hier verbirgt sich die Annahme, dass die Gedankenfehler die Ursache des Erlebens und Verhaltens sei. Tatsächlich sind diese lediglich die Folge von tief im Unbewussten ablaufenden Programmen und Mustern. Die Hirnchemie wird aufgrund von Lebenserfahrungen so einreguliert, wie es angemessen scheint, bei manchen ist das eben ein depressiver Zustand. Das negative Denken ist daher kein Fehler, sondern ein stimmiger Ausdruck.

Tatsächlich sind die Möglichkeiten von den kognitiven Zentren im bewussten Cortex die subcortikalen emotionalen Zentren zu beeinflussen sehr gering. Die gewünschte Veränderung der eigenen Person durch das Errichten von positiven Gedankengebäuden funktioniert daher nicht. Ein, durch die eigene Erfahrung entstandenes, neuronales Netzwerk lässt sich so nicht verändern.

Dennoch wirkt Therapie, aber offenbar auf eine ganz andere Weise als sich das viele Theoretiker lange Zeit zusammengereimt haben. Es ist das Miteinander von Therapeut und Patient, das eine heilsame Kraft entfaltet, ganz unabhängig davon, welcher therapeutischen Schule der Profi entstammt. Therapeutische Allianz ist der Begriff, der sich zunehmend als das eigentliche Heilmittel erweist.

Zumindest bei allen tiefer gehenden seelischen Erkrankungen braucht es dieses Miteinander, um etwas erreichen zu können. Da wo sich Lebenserfahrungen tiefer in die Person eingraviert haben – weil sie mit starken negativen Emotionen einhergingen – geht ohne diesen mitmenschlichen Faktor nichts.

Hier zeigt sich, dass wir Menschen nur dadurch Menschen sind, dass wir uns aufeinander beziehen, also miteinander leben. Ein Mensch ohne andere Menschen wäre kein Mensch. Auch der Eremit ist innerlich auf die abwesenden anderen bezogen. Von diesen grenzt er sich ab und zieht sich zurück.

In einer guten therapeutischen Allianz entstehen neue Erfahrungen, die als neue Bahnungen im Gehirn neben den alten Strukturen gespeichert werden. Sollten die alten Themen berührt werden, wirken die neuen Bahnungen hemmend und können so den Rückfall in alte Verhaltens- und Erlebensweisen bremsen.

So kann auch ein kognitiver Verhaltenstherapeut therapeutische Besserungen erreichen. Scheinbar gelingt es über die Formulierung neuer positiver Kognitionen, tatsächlich vielleicht nur, weil zwei Mensch miteinander ein Feld aufbauen, in dem beide sich so angenommen und gewertschätzt fühlen , dass neue Erfahrungen entstehen können.

 

Foto: ROLFVOLKER, „Spinnennetz 2“, CC-Lizenz (BY 2.0)
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