Der Sitz der Seele oder Tod ohne Wiederkehr?

 

Viele Jahrhunderte lebten wir mit der Überzeugung, dass unser Bewusstsein etwas so besonderes ist, dass es auch eine besondere Herkunft haben muss. Vollkommen klar, dass dieses geistig-sphärische Phänomen von Gott gegeben sein muss und auch nach dem Tod des Körpers nicht vergehen wird, sondern in anderen Dimensionen des Seins weiter existiert.

Was machen wir mit unseren vertrauten Vorstellungen, wenn uns die Neurobiologie vielleicht bald und endgültig beweist, dass das Bewusstsein im Gehirn selber entsteht und gar nicht so göttlich, frei und abgehoben ist, wie wir immer glaubten.

Seele, Bewusstsein, Geist ist das überhaupt dasselbe? Schauen wir mal…

Unter einer Seele wird in allen Religionen, Weltanschauungen und Kulturen der Welt etwas anderes verstanden. Zu allen Zeiten wurden die erleb- und sichtbaren Unterschiede zwischen Pflanze, Tier, Mensch und der unbelebten Natur unterschiedlich erklärt.

  1. In der Antike, einige Jahrhunderte vor dem Beginn unserer Zeitrechnung, war die am weitesten verbreitete Annahme, dass das Universum von einer göttlichen Natur (Pneuma, Äther, Odem) durchdrungen ist. Durch das Einatmen nehmen Tier und Mensch Anteil an diesem Göttlichen und werden belebt. Entsprechend führt der Atemstillstand zum Tode. Der Grundstoff der Seele wurde als etwas luftähnliches, ätherisches angesehen, das mit der Atemluft aufgenommen wird und sich im Körper zur Seele verdichtet. In dieser Vorstellung gibt es keine individuelle unsterbliche Seele. Nach dem Tod zerstreut sich die Seele wieder im Äther. Die Seele steht hier für das, was Leben gibt. Dahinter steht eine dualistische Vorstellung von Körper und Seele.

In der Antike unterschieden Denker wie Platon und Aristoteles  drei Lebensprinzipien. Demnach haben Pflanzen eine vegetative Seele, die zu Wachstum, Entwicklung und Anregbarkeit durch Umweltreize führt. Tiere haben eine Tierseele (animalische), die Bewegung, angepasstes Verhalten und auch eine gewisse Intelligenz ermöglicht. Der Mensch hat als einziges Wesen zusätzlich eine Vernunftseele (rational), die als unsterblich gilt. Durch sie hat der Mensch Anteil an einer Gabe der Götter. Diese Vernunftseele wird als unstofflich gesehen und steht damit dem Körper mit seiner stofflichen Substanz gegenüber. Die vegetative und die animalische Seele zerstreuen sich wieder nach dem Tod des Körpers.

Es gibt noch interessante Details bei den alten Denkern: So lieferte für Platon die sinnliche Erfahrung keine sichere Erkenntnis im philosophischen Sinne, da die Sinne materieller Natur sind. Sie dienen lediglich der Orientierung des Körpers. Wahre Erkenntnis hat bei Platon nichts mit der materiellen Welt zu tun und konnte daher nur durch die Seele (Augen des Geistes) gewonnen werden. Entsprechend ist die rationale Seele das Organ der Erkenntnis. In seiner Vorstellung existierte diese – bevor sie sich mit dem sterblichen Körper verband – in einem Raum auf der Rückseite des Himmels. Dort ist alle Erkenntnis versammelt und zu ihr, der wahren Erkenntnis, kann man nur im philosophischen Diskurs gelangen. Er erzeugt damit einen Dualismus zwischen einer Welt der Ideen und der faktisch bestehenden Welt.

Platons Schüler Aristoteles trennte sich von der Idee der unsterblichen Ideen und der damit verbundenen Ablehnung der Sinne als Erkenntnisgrundlage. Er ging davon aus, dass alle Erkenntnis auf sinnlicher Wahrnehmung und Erfahrung beruht. Ohne Sinneswahrnehmung gäbe es keinerlei Erfahrung und könnte man nichts verstehen. Er nahm auch an, dass der menschliche Geist über keine angeborenen Kenntnisse verfügt, sondern zu Beginn des Lebens einer unbeschriebenen Tafel (lateinisch: tabula rasa) gleicht, die mit allem Möglichen beschrieben werden kann.

Auch bei Aristoteles ist die Vernunftseele und das dazu gehörige Denkvermögen unsterblich, allerdings überindividuell. Eine Ausnahme war Aristoteles in seiner Überzeugung, dass alle Seelenanteile nicht im Gehirn, sondern im Herzen (cardiozentristisch) lokalisiert sind – weil dort alles Blut als Träger der Lebensgeister zusammenströmt. Für ihn war das Gehirn eher eine Art Kühlsystem des Blutes. Im Gegensatz zu ihm war die Anschauung, dass das Gehirn (cerebrozentistisch) der Sitz der Vernunftseele ist, der Intelligenz und der kognitiven Fähigkeiten spätestens seit Hypocrates (ca.  400 v. Chr.) weithin akzeptiert.

Die vegetativen und tierischen Seelenaspekte bilden bei Aristoteles mit dem Körper eine Einheit. Daher ist die Seele vom Körper nicht trennbar. Sie verhält sich zu ihm wie das Augenlicht zum Auge. Damit widerspricht Aristoteles der Auffassung Platons, wonach der Seele ein eigenständiges Dasein zukommt. Er fasst die Seele als Zweckursache des Körpers auf.

  1. Die mittelalterliche Theologie und Philosophie übernahm die platonische Vorstellung von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele. Diese Ansicht wurde nach Jahrhunderten heftiger Auseinandersetzungen im Jahr 1515 von der christlichen Kirche als unbezweifelbare Wahrheit (Dogma) festgeschrieben und wird zumindest im Katholizismus bis heute verbindlich gelehrt. Protestantische Theologen vertreten dagegen eine auf jüdische Vorstellungen zurückgehende Lehre vom Tod der Seele mit dem Tod des Körpers und einer gänzlichen Neuschöpfung von Körper und Seele in einer Auferstehung.

In der christlichen Lehre des Mittelalters verbindet sich die unsterbliche Seele im Akt der Zeugung oder spätestens bei der Geburt mit dem Körper. Im Augenblick des Todes verlässt den Körper, der unbeseelt zurückbleibt und vergeht. Hier gibt es auch die Auffassung, dass die Seele nach ihrem Entweichen geleitet werden müsse, um nicht in der Welt als Gespenst umher zu ihren. Hier dienen hilfreiche Wesen, Engel, die diese Aufgabe übernehmen.

  1. Descartes, der einflussreichste Philosoph des 17. Jahrhunderts, vertrat wie Platon eine dualistische Auffassung. So definiert er die Seele als eine Sache, für die es wesentlich ist zu denken (res cogitans), und den Körper als ein Ding, für das es wesentlich ist, ausgedehnt zu sein (res extensa). Descartes zufolge enthält das Denken in seiner reinen Form nichts körperliches, auch in dieser Hinsicht ähnelt seine Auffassung derjenigen Platons.

In seinem Verständnis gieße Gott der Maschine Körper eine geistige Seele ein, die im Körper willkürliche Bewegungen veranlasse und der Körper veranlasse Gedanken.

Der Begriff Seele ist bei Descartes bedeutungsgleich mit Geist bzw. Verstand oder Vernunft. Sie gehört zur denkenden Substanz. Als organischer Sitz der Seele gilt die Zirbeldrüse (Informations- und Bewegungszentrale des Automaten). Der Geist als ganzer sei im ganzen Körper und in jedem beliebigen Teil des Körpers. Die Seele ist nach ihm, da nicht ausgedehnter, unteilbarer und unkörperlicher Geist, unsterblich. Die Verschiedenheit von Geist und Materie sei beweisbar, aber ihre Vereinigung nur aus der alltäglichen Erfahrung bekannt.

Descartes war überzeugt, dass im Körper nur biologische und keine psychischen Prozesse stattfinden. Für ihn gab es also kein Unbewusstes.

Descartes Ideen haben das westliche Denken stark geprägt. Auch heute noch wird das Bewusstsein mit dem Verstand/ der Ratio gleichgesetzt und die Auffassung, dass das Bewusstsein die dominante Instanz ist, ist noch immer weit verbreitet.

  1. Als ich in den 1970er Jahren anfing, Leibeserziehung zu studieren, war es noch selbstverständlich von einer Dreiteilung des Menschen in Körper, Seele und Geist auszugehen. Der Körper war die materielle Basis, die durch die Seele ihre Lebendigkeit bekam. Die Seele wurde auch mit dem Erleben bzw. dem Psychischen gleichgesetzt und der Geist mit dem bewussten Denken. Im Laufe der Jahre wurde ich mit verschiedenen Erklärungen und Zuordnungen konfrontiert. Seele und Geist wurden immer wieder in unterschiedlicher Bedeutung definiert, manchmal waren sie auch als etwas Identisches gesehen. Im Kern haben wir es nach wie vor mit einer dualistischen Auffassung zu tun, in der es darum geht, dass mentale Aspekte (Geist, Bewusstsein, das Psychische, die Seele) vom physischen (Körper, Gehirn, dem Materiellen, dem Leib) unterschieden werden. Die Existenz von Geist/ Bewusstsein / Seele wird überwiegend einem göttlichen Faktor zugeschrieben.

Fazit:

Offenbar fällt es in unserer Denktradition schwer, sich den Menschen als etwas Ganzes zu denken und die Annahme einer dualistischen Trennung Mentalem und Körperlichem zu verlassen. Vielleicht weil dies dem Tod so etwas Endgültiges gibt. Wenn keine Seele weiterlebt, ganz gleich ob individuell oder überpersönlich, vergeht das Individuum mit dem Tod des Körpers. Vielleicht brauchen Menschen den Trost, dass es nachher noch weitergeht.

Wenn kein Gott das Bewusstsein gibt, sondern es  aus der Interaktion der Nervenzellen entsteht, verliert das Mentale seine Sonderposition. Schon die bisherigen neurobiologischen Erkenntnisse müssten den Sitz einer gottgegebenen Seele ins Unbewusste verlagern, weil hier die wirkliche Steuerung des Menschen stattfindet. Da das Unbewusste eine Einheit mit dem Körperlichen bildet, lässt sich schwer unterscheiden, was beim Tode vergeht und was bleibt. Auch unsere Behauptungen über die eingeschränkte Beseeltheit bei den Tieren (animalische Seele) könnten wir dann nicht mehr begründen.

Noch immer haben die Neurobiologen keinen Beweis, dass das, was sie im Gehirn beobachten auch das Bewusstsein ist. Sie stellen nur Beziehungen zwischen bewusst erlebten geistigen Vorgängen (Wahrnehmen, Denken, Vorstellen, Erinnern, Fühlen, Wollen) und dem Geschehen in den Nervenzellen her. Das Bewusstsein selbst  ist damit noch nicht greifbar. Viele nennen aber den Verdacht, dass das Bewusstsein ein Produkt des Gehirns ist.

Wir können uns also noch in Spekulationen ergehen. Eine große Hürde für unser Denken ist dabei z. B. der Umstand, dass Bewusstsein aus Materie heraus entstanden wäre, sollten die Nervenzellen es durch ihre Interaktion erzeugen. Für uns, die wir über Jahrtausende gewohnt sind, in dualistischen Kategorien zu denken, ist dies eine große Herausforderung. Da fällt die Vorstellung einer göttlichen Instanz noch deutlich leichter.

Vielleicht retten uns Physik und Mathematik. Manches weist darauf hin, dass wir in mehr als nur drei Dimensionen plus der Zeit leben. In einer mehrdimensionalen Realität werden hochkomplexe Formeln zur Beschreibung unserer Welt plötzlich ganz einfach. Vielleicht sind unsere vertrauten drei Dimensionen nur ein Ausschnitt unserer Existenz und solche Phänomene wie Bewusstsein, Seele, Götter, Wiedergeburt etc. finden eine ganz einfache Erklärung, wenn man dem Ganzen nur die eine oder andere Dimension hinzufügt.

Diese Vorstellung stößt allerdings ebenfalls an die Grenzen unserer Ratio.

 

Das Bild „face-623315_640.jpg“ hat den Titel: „gesicht-seele-kopf-rauch-licht-623315“ und stammt von der kostenlosen Bilddatenbank pixabay.com. Vielen Dank an den Fotografen.

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