Die alten Netzwerke bleiben erhalten

Bei meinen Bücherstudien verdichtet sich mehr und mehr der Eindruck, dass die im Laufe der eigenen Geschichte im Unbewussten aufgebauten Vernetzungen kaum veränderbar sind. Vor allem was in den ersten Lebensjahren entstand, scheint sehr stabil. Das ist logisch, weil damals das Fundament des eigenen Lebensgebäudes gelegt wurde.

Allerdings herrschte in der Psychotherapie lange Zeit eine gegenteilige Annahme. Es war gängige Überzeugung, dass man sich dem Alten zuwendet, sich erinnert und versteht was da gelaufen war und danach Wege sucht, es von nun an anders zu machen. Manche arbeiteten auch in der Überzeugung, dass allein das Erinnern und der andere Blick auf die Geschichte Veränderungen erzeugen würde.

Freud ließ seine Patienten frei assoziieren, d. h., entspannt liegend ihre aktuellen oder zurückliegenden seelischen Regungen rückhaltlos aussprechen, damit ins Unbewusste verdrängte Inhalte wieder bewusst würden. Er fasste diese Technik in die Kurzformel: „Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten“. Ein wichtiger Aspekt des Durcharbeitens ist dabei die Deutung, also das Verstehen der Vergangenheit.

Die kognitive Verhaltenstherapie arbeitet mit der Annahme, dass jeder Mensch über seine Vorstellungen und Gedanken (Kognitionen) sein Erleben und Verhalten positiv oder negativ beeinflussen kann. Denkfehler wie z.B. die Einstellung „Ich muss perfekt sein“ führen demnach zu Anspannung und negativem Selbsterleben. Über die Bewusstmachung selbstschädigender innerer Überzeugungen (=Gedankenfehler) und die Einübung von hilfreichen Bewältigungsstrategien könne man lernen, mit belastenden Situationen anders als bisher umzugehen.

Hier verbirgt sich die Annahme, dass die Gedankenfehler die Ursache des Erlebens und Verhaltens sei. Tatsächlich sind diese lediglich die Folge von tief im Unbewussten ablaufenden Programmen und Mustern. Die Hirnchemie wird aufgrund von Lebenserfahrungen so einreguliert, wie es angemessen scheint, bei manchen ist das eben ein depressiver Zustand. Das negative Denken ist daher kein Fehler, sondern ein stimmiger Ausdruck.

Tatsächlich sind die Möglichkeiten von den kognitiven Zentren im bewussten Cortex die subcortikalen emotionalen Zentren zu beeinflussen sehr gering. Die gewünschte Veränderung der eigenen Person durch das Errichten von positiven Gedankengebäuden funktioniert daher nicht. Ein, durch die eigene Erfahrung entstandenes, neuronales Netzwerk lässt sich so nicht verändern.

Dennoch wirkt Therapie, aber offenbar auf eine ganz andere Weise als sich das viele Theoretiker lange Zeit zusammengereimt haben. Es ist das Miteinander von Therapeut und Patient, das eine heilsame Kraft entfaltet, ganz unabhängig davon, welcher therapeutischen Schule der Profi entstammt. Therapeutische Allianz ist der Begriff, der sich zunehmend als das eigentliche Heilmittel erweist.

Zumindest bei allen tiefer gehenden seelischen Erkrankungen braucht es dieses Miteinander, um etwas erreichen zu können. Da wo sich Lebenserfahrungen tiefer in die Person eingraviert haben – weil sie mit starken negativen Emotionen einhergingen – geht ohne diesen mitmenschlichen Faktor nichts.

Hier zeigt sich, dass wir Menschen nur dadurch Menschen sind, dass wir uns aufeinander beziehen, also miteinander leben. Ein Mensch ohne andere Menschen wäre kein Mensch. Auch der Eremit ist innerlich auf die abwesenden anderen bezogen. Von diesen grenzt er sich ab und zieht sich zurück.

In einer guten therapeutischen Allianz entstehen neue Erfahrungen, die als neue Bahnungen im Gehirn neben den alten Strukturen gespeichert werden. Sollten die alten Themen berührt werden, wirken die neuen Bahnungen hemmend und können so den Rückfall in alte Verhaltens- und Erlebensweisen bremsen.

So kann auch ein kognitiver Verhaltenstherapeut therapeutische Besserungen erreichen. Scheinbar gelingt es über die Formulierung neuer positiver Kognitionen, tatsächlich vielleicht nur, weil zwei Mensch miteinander ein Feld aufbauen, in dem beide sich so angenommen und gewertschätzt fühlen , dass neue Erfahrungen entstehen können.

 

Foto: ROLFVOLKER, „Spinnennetz 2“, CC-Lizenz (BY 2.0)
http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/de/deed.de
Das Bild stammt aus der kostenlosen Bilddatenbank www.piqs.de, vielen Dank an den Fotografen.

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