Psychotherapeuten – Die Helfer vergessen sich selbst

18.04.15
Ich war in dieser Woche auf einer Psychotherapietagung im schönen Lindau am Bodensee und habe dort Informationen über uns Psychotherapeuten gehört, die mir zwar neu waren, mich aber nicht wirklich erstaunten.

Weil Psychotherapie von Erfahrung lebt, arbeiten viele Psychotherapeuten länger als bis zum 65. Lebensjahr. Auffällig ist, dass alte Psychotherapeuten in der Statistik deutlich kranker sind als die Durchschnitts-Bevölkerung. Dies betrifft das ganze Spektrum von Krankheiten, einschließlich seelischer Erkrankungen. Psychotherapeuten bringen also Anderen bei, ein gutes Leben zu führen, versagen aber dabei, dies auch für sich selbst zu realisieren. Über die Hintergründe hörte ich verschiedene Vermutungen.

Eine Annahme war, dass Psychotherapeuten zu viel arbeiten, weil sie für ihre Arbeit zu wenig Geld bekommen. Ich kann dieses Argument nicht gelten lassen, weil wir unseren Patienten beibringen, dass man auch mit weniger ein gutes Leben führen kann, wenn man weiß wie es geht. Ein anderer Grund könnte sein, dass viele Therapeuten ihren Beruf gewählt haben, weil sie neben dem Wunsch anderen zu helfen auch für eigene Lebenslasten Lösungen suchten. Für mich selbst trifft das sicher zu. In ihrer Ausbildung haben sie dann gelernt wie man seelische Not lindert, aber vergessen, das alles auch für die eigene Person zu verwenden.

Ich halte Psychotherapie für ein großartiges Instrument zur Veränderung. Die meisten Psychotherapeuten können damit sehr geübt umgehen. Aber aus irgendeinem Grund verwenden sie es nicht für die eigene Person. Woran liegt das?

In einem Vortrag am letzten Tage des Kongresses äußerte ein hochrangiger Psychotherapie-Wissenschaftler und -Praktiker (Privatdozent Dr. med. Wolfgang Wöller), dass Psychotherapeuten sich mehr vor Augen halten sollten, dass das eigene Unbewusste bestimmt, wie das Leben läuft. Erstaunlich, dass man dies langjährig praktizierenden Fachleuten für die menschliche Psyche überhaupt sagen muss. Aber offenbar ist die Tragweite dieses Wissens noch nicht mal bei den Profis angekommen, die sich tagtäglich damit auseinandersetzen.

Ich nehme dies als Beleg dafür, wie penetrant unbewusstes das Leben dominiert.

Es lief ungefähr so: Der -statistisch gemittelte- Psychotherapeut hat schon als Kind gelernt, anderen mehr zu geben als sich selbst und hinsichtlich Gesundheit, Glück und Lebenszufriedenheit weniger nehmen zu dürfen. Und weil er sich nie bewusst machte, wie ihn diese „Lebensweisheit“ bestimmt, hat er auch nie was dagegen unternommen… oder das was er unternommen hat, war nicht wirkungsvoll, weil er seinen „Gegner“ falsch einschätzte.

Wer glaubt, mit ein paar klugen Gedanken alles zu richten, ist auf dem Holzweg. Unbewusste Strukturen zu beeinflussen, braucht wiederholte, gefühlvolle, neue Lebenserfahrungen und angemessen Zeit für die innere Neuausrichtung.

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