Der Copilot stürzt sich in den Tod und reißt 150 Menschen mit sich. Wer trägt die Verantwortung?

Wenn das Unbewusste regiert, wer trägt dann die Verantwortung?

Meine Betrachtungen über das Unbewusste führen mich angesichts der aktuellen Vermutungen über die Ursache des jüngsten Flugzeugabsturzes zu der Frage, wer hier die Verantwortung trägt. Natürlich der, der es entschieden hat, werden die meisten antworten. Wenn das Bewusstsein aber nur eine nachgeordnete Instanz ist, die lediglich wahrnimmt, was tiefere Schichten schon vorher entschieden haben, kann ein Mensch dann überhaupt für sein Handeln verantwortlich gemacht werden? Da er sein Unbewusstes nicht steuert, liegt die Verantwortung beim Unbewussten. Aber wer prägt dieses? Woher nimmt das Unbewusste die Leitlinien für sein Handeln her? Woran orientiert es sich?

Das Unbewusste ist vor allem von Lebenserfahrungen geprägt. Die Grundstrukturen werden in der Kindheit aufgebaut und alle weiteren Erfahrungen werden in dieses Grundgerüst integriert. Ein Unbewusstes ist daher sehr stark von den Eltern und den weiteren Menschen bestimmt, die zum Lebensumfeld eines Kindes gehören. Die dort herrschende Kultur hat ebenfalls einen hohen Einfluss. Genetische Ausstattung und körperliche Gegebenheiten haben auch eine Bedeutung. Gene sind allerdings sehr viel plastischer als wir lange Zeit vermutet haben. Soziale Bedingungen und die persönlichen Eigenschaften der Eltern haben einen viel höheren Einfluss auf das Werden einer Person.

Ein Mensch, der als erwachsener einen Suizid begeht, hat vermutlich schon sehr früh in seinem Leben mit diesem gehadert. Er wird keinen Zugang zu den positiven Aspekten des Miteinanders haben, sondern sich schon sehr früh in seinem Leben verlassen, überfordert, vielleicht nutzlos, vielleicht wertlos gefühlt haben. Jeder Mensch lernt im Elternhaus (oder den Ersatzinstitutionen dafür) wie er sich zum Leben stellt und seinen Platz im Miteinander findet. Das Grundvertrauen zur Mutter/zum Vater wird zum Vertrauen in die Welt. Die Mutter hat dabei noch einen besonderen Stellenwert, weil jedes Kind etwa neun Monate im Bauch der Mutter verbringt und sich deshalb in besonderer Weise mit ihr verbindet. Die Mutter ist die ursprünglichste Umgebung. Sie ist am Anfang die ganze Welt des Embryos. Zu ihr hat er Urvertrauen, mit ihr verbindet er geborgen sein, getragen werden etc. Wenn eine Mutter nicht in der Lage ist, dieses ursprüngliche Vertrauen auch nach der Geburt immer wieder zu bestätigen, wird es brüchig, und zerreißt sogar unter Umständen. Aus Urvertrauen wird Misstrauen.

Sind also die Mutter oder andere Personen aus der Kindwelt des Copiloten an dem Flugzeugunglück schuld? Sollte sich dieser Mann tatsächlich suizidiert und dabei 150 Menschen mit in den Tod gerissen haben, kommt man nicht daran vorbei, auf seine Kindheit zu schauen. Mit großer Wahrscheinlichkeit war diese Mitwelt nicht in der Lage, ihm das zu geben, was er gebraucht hätte, um sich anders zu verhalten.

Aber eine Mutter kann genau wie jeder andere nur geben was sie hat. Wenn sie nicht in der Lage war, ihm einen Bezug zum Leben, zu anderen Menschen und zur Welt zu vermitteln, der ihn und die anderen hätte überleben lassen, dann kann man ihr auch keinen Vorwurf machen. Es bringt also nichts mit dem Finger auf die Mutter zu zeigen oder auf andere. Alle hatten Eltern, die ihnen nur geben konnten was sie hatten, genau wie deren Eltern und deren Eltern, bis zurück zu Adam und Eva.

Tatsächlich ist dieses Unglück nur ein Ausdruck dafür, wie wenig wir Menschen in der Lage sind ein gutes Miteinander verlässlich zu gestalten. Wir haben eine Welt aufgebaut in deren Mitte Einzelne sich vollkommen verloren fühlen können. Der Copilot hat ein nach außen hin intaktes Leben geführt. Offenbar war es nur eine Fassade und dahinter waren Verzweiflung und auch ein großer Hass auf seine Mitwelt, die ihn nicht in seiner Not entdeckt und ihn nicht in ihre Mitte geholt hat. Dieses Geschehen ist nur ein Spiegel unseres Seins. Ja, so leben wir.

Der Weg der menschlichen Entwicklung hat uns hierher geführt und Aussichten auf Veränderung gibt es kaum. Ich träume von einer Gesellschaft, die ihren Kindern mehr als nur die zwei Elternfiguren (oft ist es heutzutage nur noch eine alleinerziehende Person) an die Seite stellt. Bei mehr Personen, die zum privaten Alltag eines Kindes gehören und sich auch verantwortlich fühlen, wird das Ausgeliefertsein an die persönlichen Mängel der Eltern geringer. Es erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass es jemanden gibt, der oder die sich von Herzen beziehen kann und zumindest ein Restvertrauen in die Menschheit bleibt. Tatsächlich erleben wir, dass sich die Menschen mit ihrem Privatleben immer weiter zurückziehen. Damit wird der Zugang zum größten Schatz von uns Menschen, ich meine unsere Fähigkeit uns aufeinander zu beziehen und miteinander zu leben, immer weiter verbaut.

Die gleichzeitige zunehmende Vernetzung über Handy, Computer und Internet ist kein Ausgleich für wirkliche Begegnung. Erst vor etwa 20 Jahren wurden die Spiegelneuronen beim Menschen entdeckt. Das sind Nervenzellen, die nur den Zweck haben das Gegenüber zu betrachten und hinsichtlich seiner Motive und Absichten zu analysieren. Dabei stellt sich das beobachtende Gehirn vor, wie es sich selbst fühlen würde, wenn es genau diese Mimik, Gestik, Bewegung, Sprache etc. wie das Gegenüber hat. Das passiert ständig und vollkommen unbewusst. Wir fühlen uns also unentwegt in unser Gegenüber ein. Wo immer wir jemanden treffen, kriechen wir sozusagen in die andere Person ein, verbinden uns und bilden so für einen Moment ein kleines Netzwerk. Einfühlen und Mitfühlen entstehen auf dieser Grundlage. Ich bin überzeugt, dass die Datenmenge, die in wenigen Augenblicken dabei ausgetauscht wird auch durch einen wochenlangen SMS (WhatsApp etc) Austausch nicht annähernd erreicht wird. So gesehen, verarmen wir in unserer Kommunikation.

Und weil fehlende Begegnung und fehlendes Miteinander letztlich die Ursache für den Absturz war, wird noch einiges auf uns zukommen. Mit dem eigenen Tod noch einen Paukenschlag zu veranstalten ist eben nicht nur ein Privileg von religiösen Extremisten.

 

6 Gedanken zu „Der Copilot stürzt sich in den Tod und reißt 150 Menschen mit sich. Wer trägt die Verantwortung?“

  1. Hallo Reinhardt, spannende Themen auf deinen Blogseiten – die mich zum Nachdenken anregen und mich gerade fragen lassen: Du glaubst, dass die Tat des Piloten aus dem Archiv seiner unbewussten Vorerfahrungen stammt? Ist man da nicht schnell wieder bei der Abkürzung: Die Eltern/Mutter ist schuld?

    1. …denke gerade an einen Beitrag von letzer Woche (arte oder 3sat) die mit unterschiedlichen Wissenschaftlern die Frage Gene oder Sozialisation beleuchtet haben und den Genen doch wieder eine ganze Menge Einfluß zugeschrieben wird, in dem sie halt aktiviert oder deaktiviert werden unter bestimmten Sozialisationsbedingungen, aber nach wie vor DA sind und die Persönlichkeit beeinflussen….im Sinne von „Färbungen“ die man zwar theoretisch modifizieren kann, aber dennoch die Art und Weise der Person ausmachen…hm bisschen kryptisch mein versuch mich kurz zu fassen.

      1. Ja, Gene machen viel aus, aber genetische Vorgaben z.B. hinsichtlich einer geringeren Stressverarbeitungsfähigkeit können auch kompensiert werden. Treffen aber Gene auf schwierige Bedingungen, geht das System den Bach runter. Wir kommen an der sozialen Verantwortung nicht vorbei. Dasselbe gilt auch für Epigenetik, also wie die Gene gestellt/ aktiviert werden ist wesentlich von den sozialen Erfahrungen abhängig. Auch die Schaltung von Genen – z.B. durch Traumatisierungen – wird übrigens weitervererbt, bei Ratten bis zu 7 Generationen weiter gegeben.

    2. Sorry, ich war eine Weile nicht auf der Seite, daher kommt erst jetzt eine Reaktion.
      Na klar, kann man da schnell landen, bei den Müttern/ Eltern. Aber es nutzt nichts da zu verweilen, weil die ja auch Eltern hatten usw. Da ist man dann schnell bei:“ Adam und Eva haben es verbockt“. Ich sehe da eher eine gesellschaftliche Verantwortung für unsere Kinder. Wenn Eltern (viele zumindest) überfordert sind und ihren Kindern nicht das geben können, was diese brauchen, weil sie es selbst nicht haben, dann müssten eben andere Menschen da sein und die Eltern unterstützen. Würden alle in Wohngemeinschaften leben, wären von vornherein mehr andere Menschen in der Nähe der Kinder präsent – sie müssten sich nur mitverantwortlich fühlen. Dies ist nur ein erster Gedanke, wenig ausgegoren. Ich möchte vor allem an ein Wir-Gefühl appellieren. Der Co-Pilot lebte mitten unter uns und hätte man sein Leid schon früher bemerkt (viel früher – wäre noch besser), wäre das nicht passiert.

    1. Danke für die Frage.
      Natürlich geht das nicht ohne bewusste Beteiligung. Aber das ist ein bisschen so ähnlich, wie beim Computer zwischen Bildschirm und Zentralprozessor. Im Zentralprozessor (=CPU) findet die Entscheidung statt und auf dem Bildschirm ist sie nur zu sehen. Wenn der Bildschirm nichts von CPU und Computern weiß, könnte er den Eindruck haben, dass es seine Entscheidung ist. Untersuchungen zeigen, dass auch -aus den Augen anderer- scheinbar widersinnige Entscheidungen, mit rationalen Argumenten belegt werden. Die Person selber glaubt sich dies und ist überzeugt richtig zu handeln. Tut sie ja auch, aber nur gemäß unbewusster Vorgaben. Und die stammen aus den Erfahrungen der frühen Kindheit, lediglich leicht modifiziert im Laufe der Jahre. So etwas Wesentliches wie einen Suizid und erst recht so ein Massenmord muss aus den unbewussten Archiven stammen. Hier bilden sich Störungen der sehr frühen Kindheit ab. Versetz dich doch mal in ein kleines Kind. Man selbst ist vollkommen machtlos, wird getragen, herum bewegt. Andere entscheiden und man hängt von deren Entscheidungen 100% ab. Geschehen seitens der Erwachsenen Fehler, geht es für das Kind schnell darum, ob es jetzt noch leben kann oder sterben muss. Es gibt noch keine Konzepte, noch keine Erfahrungen, mit denen man sich selbst als Kind beruhigen kann. Wenn die Mutter einen depressiven Schub hat und dabei emotional kalt wird, erlebt das Kind selbst dann tiefe Verlassenheit, wenn die Mutter noch anwesend ist.
      Reinhardt Krätzig

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